Das Konzertprojekt widmet sich dem wohl bedeutendsten Liederzyklus der Musikgeschichte: Franz Schuberts „Winterreise“. Dieser aus 24 einzelnen Kunstliedern bestehende Zyklus, ursprünglich für Solotenor und Klavier komponiert, ist von Gregor Meyer – Leiter des Leipziger Gewandhaus-Chors und Gründer des Vocalconsorts Leipzig – für Baritonsolo, gemischten Chor und Klavier arrangiert worden, womit dieses Stück Weltliteratur der Musik auch für die Mitgestaltung durch Chöre zugänglich geworden ist. Meyers Bearbeitung ist sehr einfühlsam, ideen- und farbenreich gelungen und bereichert das ohnehin vielschichtige Werk mit zusätzlichen klanglich-musikalischen Schichten und mannigfaltigen emotionalen Nuancen.
In der „Winterreise“, von Franz Schubert 1827 (also ein Jahr vor seinem Tod) auf Gedichte von Wilhelm Müller komponiert, wird die einsame Wanderschaft eines jungen Mannes geschildert, dessen erlebte Liebesenttäuschung sich in einem Wechselbad von Emotionen darstellt: von überschwänglicher Freude bis hoffnungsloser Verzweiflung. Die Motive des Wanderns, der Hoffnung, der Enttäuschung, der ziellosen Bewegung, des Schattens, der Entfremdung und Isolierung, der winterlichen Kälte und des Todes klingen wiederholt und mehrfach variiert an. „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“: Mit diesen Worten beginnt der abendfüllende Liederzyklus im ersten Lied „Gute Nacht“ (sinnigerweise bereits zu Beginn eine Art Abschiedslied). Am Ende steht die Begegnung mit dem „Leiermann“ (Allegorie des Todes? Symbol für die Kunst als letzte Zuflucht?): Das – auch musikalische – Leben hat sich verflüchtigt, jedes Gefühl scheint aus dem verloschenen Herzen gewichen zu sein.
Mit der „Winterreise“ bietet uns Franz Schubert auf die Worte Wilhelm Müllers eine überaus tiefsinnige Darstellung des existentiellen Schmerzes und der Identitätsfrage des Menschen, in geradezu frappierender Modernität, aber gleichzeitig mit eigentlich ganz einfachen Mitteln. Im Besitz der vollen Herrschaft über alle Möglichkeiten der musikalischen Kunst für Gesang und Klavier gelingt ihm eine ans Unerhörte grenzende Ausdrucksfähigkeit in der Nuancierung der Stimmungen, der Emotionen, des Seelenlebens des Protagonisten.
Mitwirkende
Michael Roman, Bariton
Konzertchor Cantus Vivus Bergstraße
Wolfram Schmidt, Klavier und Leitung